Kathleen Kaelin

Die Therapeutin und Ursulinenschwester Kathleen Kaelin empfängt uns in ihrer Privatpraxis. Mitten in der Stadt Louisville – in The Highlands – in einem von Bäumen und einem leicht verwilderten Garten umrahmten Hinterhaus.

Die Atmosphäre im Raum ist inspirierend und friedlich.
Hier hört Kathleen Kaelin als Therapeutin den Menschen zu, begleitet sie und meditiert mit ihnen. Eine hölzerne Kopie der Schwarzen Madonna von Einsiedeln und eine weisse Kerze mit farbigem Kaelin-Wappen fallen sofort auf.

Joseph Meinrad Kaelins Familie auf der Kaelin-Farm in Louisville: Joe, Stephen, Margaret, Grossmutter Margaret, Mary, Louise, Grossvater Joseph Meinrad, Anna; vordere Reihe: Cornelius Sylvester, George, Catherine, Elizabeth, Karl.

Einsiedeln hat bei Kathleen seinen Platz. Sie öffnet ihr ­Erinnerungsalbum und erzählt von den drei Besuchen im Heimatdorf ihres Grossvaters, Joseph Meinrad Kaelin. «Ich habe eine enge emotionale Bindung zu Euthal und Einsiedeln.»

Joseph Meinrad Kaelin

1997 reiste Kathleen Kaelin zum ersten Mal auf den Spuren ihres Grossvaters in die Schweiz. «Ich weilte für zwei Wochen an einem Psychotherapeuten-Kongress im Bildungszentrum in Einsiedeln und blieb anschliessend noch eine ­Woche. Um mehr über meine Wurzeln zu erfahren. Edith Zehnder und ihr Vater, Alfred, halfen mir enorm. Und Pater Ansgar Schuler vom Kloster Einsiedeln übersetzte für mich, sodass ich sogar mit Leuten in Euthal in Kontakt kam, etwa mit Rosa, die noch meinen Urgrossvater Joseph Maria Kälin bei seinen Spaziergängen im Dorf getroffen hatte. Ich erfuhr, dass das Haus meiner Vorfahren einst neben dem heutigen Dorfladen stand. So war ich auch bei den Winets, und Anna Marty in Euthal gab mir ein Totenbildchen meines Urgrossvaters.» Joseph Maria ­wurde sehr alt, war eine Zeit lang der älteste Einsiedler und Kantonsbürger. Er starb 1944, kurz vor seinem 100. Geburtstag. «Sogar der Nekrolog vom 7. Juli 1944 aus dem Einsiedler Anzeiger habe ich noch. Weil ich kein Deutsch kann, übersetzte Pater ­Ansgar ihn für mich.»

Wie war es denn mit Grossvaters Auswanderung? «In unserer ­Familie heisst es, dass Joseph Meinrad Kaelin als blinder ­Passagier im Jahre 1888, mit nur 18 Jahren, ganz allein über den Atlantik nach Amerika gereist sei. Er habe kein Geld gehabt für das Schiffsticket. Ob er einen Pass besass, wissen wir nicht. Nur zwei kleine, in Deutsch geschriebene Gebetsbüchlein haben die lange Reise mit ihm gemacht.

Die zwei Gebetsbüchlein in deutscher Sprache.

Grossvater hat nie über seine Auswanderung gesprochen, und niemand fragte ihn je danach.» ­Bekannt ist nur: Joseph Meinrad Kaelin ging nicht mehr zurück in seine alte Heimat und sah weder seine Eltern noch seine drei Geschwister wieder.

Kathleen Kaelin: «Als ich auf meiner zweiten Reise im Zug von Einsiedeln zurück zum Flughafen Kloten fuhr, begann ich zu weinen und konnte nicht mehr aufhören damit. Ich hatte das Gefühl, dass er gelitten hatte. Und all die Tränen, die er nicht hatte weinen können oder wollen, vergoss ich für ihn. Grossvater steht mir über den Tod hinaus und bis heute sehr nahe.»

Urgrossvaters Totenbildchen.

Joseph Meinrad Kaelin fasste Fuss in Louisville und heiratete eine deutsche Einwanderin, Margaret Bienlein. Zusammen hatten sie elf oder zwölf Kinder. «Ob meine Grossmutter von ihren Eltern das Land bekam, weiss ich nicht. Auf jeden Fall bewirtschafteten die beiden zusammen die rund 20 Hektaren grosse Kaelin-Milchfarm. Grossvater hatte wohl keine Zeit, sich über seine Herkunft ­Gedanken zu machen, und arbeitete hart. Diese Arbeitsmoral
habe ich auch.»

«Schade, habe ich ihn nie nach seiner Jugend, seiner Zeit ­daheim in Einsiedeln gefragt. Ich erinnere mich, dass er ein ­liebenswürdiger, stiller Mann war, und dass er bei Tisch das ­Vaterunser auf Deutsch betete. Der Besuch der Gottesdienste in der St. Denis Church, seine Familie und seine Farm waren wohl die Eckpfeiler seines Lebens.»

Ob er mit anderen Einwanderern aus Einsiedeln Kontakt hatte, weiss Kathleen nicht. Vielleicht ging er in den Swiss Park in Louisville, den Treffpunkt der Schweizer Einwanderer, den es leider nicht mehr gibt. «Ich hätte Grossvater viel mehr fragen sollen. Er muss grosszügig gewesen sein. Zwei seiner Söhne durften auf dem landwirtschaftlichen Land ein Haus für die nächste Generation bauen. So baute mein Vater, Sylvester Cornelius, für 2000 Dollar ein Haus in der Nähe des elterlichen Farmhauses. Ich hatte mit meinen vier Geschwistern eine wunderbare Kindheit dort, spielte in den Maisfeldern, half bei der Kartoffelernte und im Kuhstall.»

Mein Bruder und meine Schwestern fuhren auch Traktor. Leider verpasste ich das. Denn ich wurde mit 13 Jahren in die High School geschickt - Stunden weg von zuhause.»

Kathleen Kaelin auf der Milchfarm.

Kathleens Leben änderte sich 1956 mit dem Eintritt in die von Ursulinen geführte St. Joseph Academy grundlegend. «Die ersten Jahre hatte ich unglaublich Heimweh, vermisste meine Familie und das Zuhause.

Erst im vierten Schuljahr fühlte ich mich wohler dort.» Und 1960 trat sie der Ursulinengemeinschaft Mount St. Joseph in Louisville bei. Es sei für sie eine spirituelle ­Berufung gewesen, meint sie. Mit allem was dazugehört: Auch dass sie keinen Ausgang nach draussen bekam - nicht einmal zur ­Beerdigung ihres geliebten Grossvaters im Juli 1961. Kathleen Kaelin ist eine Suchende, war es immer und ist es heute noch. Und sie fühlt sich ihrem Grossvater auch in dem Bereich sehr nahe. «War Grossvater nicht auch ein Suchender, dass er sich in so jungen ­Jahren aus dem kleinen Bauerndorf Euthal über den Atlantik wagte?» Kathleen Kaelins Leben führte sie später als Lehrerin nach ­Missouri, zum Weiterstudium nach Cleveland, wo sie ihren Master in Religious Education absolvierte, zu Einsätzen in Armenvierteln in Mexiko und später zu Reisen nach Guatemala und schliesslich in den 90er Jahren nach Palo Alto, Kalifornien. Dort erwarb sie 1994 am Institute of Transpersonal Psychology einen zweiten ­Master. Und auch ihre Erfahrungen auf den Reisen nach Indien mit dem Buddhismus, mit östlicher Spiritualität und Weisheit waren für sie wegweisend und bereichernd, öffneten neue Wege und ­fliessen in ihre heutige therapeutische Arbeit mit ein.

Das «Unser Vater» auf Deutsch.

Bevor wir uns von Kathleen verabschieden, meint sie: «Meine Wurzeln, meine Heimat sind in Einsiedeln und Euthal. Das weiss ich mit Sicherheit, seit ich selbst dort war. Und nie im Leben hätte ich mir träumen lassen, dass sich Leute aus Einsiedeln mal zu uns nach Louisville bemühen. Dass sie hier unsere Geschichte, die Geschichten unserer Vorfahren erfahren und erforschen ­wollen. Das ist einfach grossartig und gibt eine einzigartige Verbindung. Mein Grossvater wäre sehr stolz. Danke!»

Sylvester und Julia Dienes Kaelin.

Kathleen J. Kaelin (*1942)

Ururgrosseltern

  • Joseph Anton Kälin (1817 – 1896) «Chuereden», Euthal
  • Anna Maria Kälin (1820 – 1904)

Urgrosseltern

  • Josef Maria Kälin-Kälin (1845 – 1944) «Chuereden», Euthal
  • 1. Frau: Johanna Catharina Kälin (1848 – 1902)
  • 2. Frau: Anna Maria Kälin (1866 – 1938)

Grosseltern

  • Joseph Meinrad Kaelin (1870 – 1961) Euthal und Louisville
  • Margaret Jane Bienlein Kaelin (1870 – 1933)

Eltern

  • Sylvester Cornelius Kaelin (1911 – 1992) Louisville
  • Julia Maria Dienes Kaelin (1914 – 2001)
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