Wenn Dick Clements über seinen Urgrossvater Joseph Oechsli spricht, schwingt Hochachtung mit. «Ich kannte ihn leider nicht. Aber in unserer Familie wird erzählt, dass er ein stiller, fleissiger und liebenswürdiger Mensch war. Ich finde es eine enorme Leistung und mutig, dass der in einfachsten Verhältnissen aufgewachsene Knecht seine Eltern, seine Geschwister und seine Heimat zurückgelassen hat, ohne zu wissen, was ihn über dem Atlantik erwartete, ja, ob er überhaupt heil in Amerika ankommen würde. Vielleicht gab ihm die Gewissheit etwas Sicherheit, dass schon etliche Einsiedler in Louisville lebten und er mit diesen in seiner Muttersprache würde reden können.»
Joseph Oechsli sorgte vor seiner Abreise weitsichtig vor: Wenige Wochen bevor er Einsiedeln verliess, erhielt er ein Empfehlungsschreiben seines Arbeitgebers: «Joseph Oechsli von Trachslau Gemeinde Einsiedeln in der Schweiz hat bei uns als Knecht für Besorgung von Rindervieh und Pferden von April 1868 bis heute treu, fleissig, redlich gedient und empfehlen wir ihn als einen braven Menschen. Einsiedeln 6. März 1872 Nicolaus & Adelrich Benziger zum Adler vom Hause Gebr.C.&N. Benziger.» Mit diesem Papier sollte ihm im fernen Amerika der Einstieg in eine bessere Existenz gelingen.
Der Pferdeknecht Joseph Oechsli (amerikanisch ausgesprochen: Exly!) fasste schnell Fuss in Louisville, heiratete die Witwe Anna-Mary Bisig Schmitt mit ihren beiden Töchtern Elizabeth und Mary. Er konnte sich bald eine Farm kaufen und baute Kartoffeln an - wie viele seiner Landsleute. Die Familie wuchs, Joseph wurde Vater von vier eigenen Töchtern. Er galt als angesehener Mann in der Stadt sowie in der Schweizer Kolonie und war aktives Mitglied in der Gruetli Helvetia Society. Und er schaffte es innert weniger Jahre neben seiner Farm 15 Hektaren guten Boden nahe der Eisenbahnlinie in St. Matthews zu erstehen. Mitten durch sein Terrain führte bald die Oechsli-Strasse.
Dick Clements: «Woher er das Geld hatte, so viel Land zu kaufen, weiss ich nicht. Aber er war ein äusserst sparsamer Mensch, unternehmerisch geschickt und fleissig.» 1893 kaufte sich Joseph in der Ecke Ridgeway Avenue und Westport Road überdies ein stattliches Haus, das 1838 von Dr. John N. Lewis erbaut worden war.
Am 11.Juli 1927 kam sein ganzes Land auf eine Auktion - Joseph verkaufte den Boden, um darauf ein ausgedehntes Wohnquartier mit Einfamilienhäusern an bester Lage in der aufstrebenden Stadt Louisville entstehen zu lassen. Nur das Oechsli-Haus blieb bis ins Jahr 2004 in Familien-Besitz - und entsprechend lange war es auch Zentrum des immer grösser werdenden Clans. Mit dem 70-jährigen Dick Clements besuchen wir im Sommer 2016 das «Oechsli-Haus», das heute dem Geschäftsmann Steve Smith gehört. Man spürt, dass es Dick nicht leicht fällt, über die Schwelle des Hauses zu treten. Erinnerungen an seine Kindheit kommen hoch.
«Nach meinem Urgrossvater wohnten meine Grossmutter Josephine Oechsli Ratterman, drittälteste Tochter von Joseph, und Grossvater Frank Ratterman jahrzehntelang hier, ebenso zwei meiner Tanten und ein Cousin.
In jedem Zimmer hat es für mich Erinnerungen, und das Treppengeländer im Flur war meine Rutschbahn. In der Küche im Parterre hat Grossmutter Josephine ihre berühmten «Spruengli» für uns gebacken, weisse Änis-Guetzli - im Geschmack sehr ähnlich den Süssigkeiten aus der Oechslin-Bäckerei «Goldapfel» in Einsiedeln!
Beim Verkauf des Hauses fanden wir übrigens in der einstigen Rauchkammer eine Unmenge alter Nägel - Hunderte krummer Nägel! Joseph hatte sie beim Bau der vielen Häuser auf seinem früheren Grund und Boden wohl eingesammelt und von Hand gerade gebogen, um sie irgendwann mal wieder zu verwenden. So sparsam war er!» Nicht zuletzt dank der Hilfe seiner Frau Margaret startete Dick Clements vor Jahren mit der Familienforschung. «Ich bedaure sehr, dass ich meine Grosseltern, Onkel und Tanten zu Lebzeiten nicht befragt habe.
Sie alle hatten Joseph Oechsli noch gekannt und hätten sicher die eine oder andere Episode aus seinem Leben erzählen können. Lange interessierte es mich wenig, und später war ich zu beschäftigt. Ich weiss leider auch wenig von meinen Oechslin-Verwandten in der Region Einsiedeln. Obwohl wir im November 2009 mit einer Gruppe im Klosterdorf waren und ich erste Kontakte zu Verwandten knüpfte, muss ich in absehbarer Zukunft zurückkommen und diese vertiefen. Das Geburtshaus meines Urgrossvaters in Trachslau will ich dann unbedingt sehen und auch weitere Einsiedler Verwandte kennenlernen.»