Ihre Familiengeschichte findet Carla Sue (78) faszinierend. Sie liebt Geschichte und Geschichten, und dass sie Einsiedler Wurzeln hat, macht sie ungemein stolz: Eine «Schoenbaechler» zu sein, sei toll, sagt sie eins übers andere Mal.
«Mein Ururgrossvater, Meinrad Schoenbaechler, muss ein interessanter und charismatischer Mensch gewesen sein. Sie zeigt sein grosses Bild: Imposant schaut er drein, der weisshaarige Mann mit langem Bart und vifen Augen.
Die kolorierte Zeichnung, die das Doppelhaus seiner Eltern im Birchli bei Einsiedeln, oberhalb des «Sternen», zeigt, liegt ihr besonders am Herzen. «Meinrad hat sein Vaterhaus gemalt, als er 1894 zurück in die alte Heimat reiste. Das Haus steht übrigens noch - und ich habe mir sagen lassen, dass noch immer Schönbächlers darin wohnen. Was wir über ihn, den Einwanderer und Stammgründer hier, wissen, wird von Generation zu Generation in unserer Familie weitererzählt.»
Meinrad Schönbächler wanderte 1850 nach Amerika aus. Es hat immer geheissen, dass Meinrad - im Kloster Einsiedeln ausgebildet - von den Einsiedler Mönchen ins Kloster St. Meinrad in Indiana geschickt worden sei. Dort kam er aber nie an. «Ich denke, er hat im Land der unbegrenzten Möglichkeiten das Geld und die Frauen entdeckt!»
Der Einsiedler liess sich in Louisville nieder und heiratete Carolina Hund. Mit einem Deutschen, Frank J. Raidt, baute er am Broadway in Louisville die Getreidemühle WILLIAM TELL auf. Was für ein Unglück, als die Mühle abbrannte! Unternehmerisch wie er war, baute Meinrad sie noch grösser wieder auf.
«Er lernte nie Englisch. Es hatte ja in Louisville viele Landsleute, und überdies holte er für seinen Betrieb sogar noch Leute aus der alten Heimat. So konnte er weiterhin Schweizerdeutsch reden. Ich erinnere mich, dass sogar mein Grossvater später noch Deutsch sprach.»
Meinrad wurde in Louisville ein sehr erfolgreicher und angesehener Geschäftsmann, und er war Mitglied des Grütlivereins, des Louisville Turnervereins und der Concordia Singing Society.
Seine einzige Tochter, Pauline, heiratete Leo H. Allgeier. «Die Ehe mit dem Trinker ging aber nicht gut, und sie kehrte mit ihren vier Kindern - drei Mädchen und einem Knaben - zurück zu ihren Eltern. Pauline kannte ich nicht mehr, aber meinen Grossvater - John - sehr gut. Er liebte mich wie seinen Augapfel. Ich war sein einziges Grosskind, was Grossmutter Louise Schwartz gar nicht passte. Sie mochte mich nie, obwohl sie später und bis zu ihrem Tod bei uns lebte.
Grossvater lernte die mittellose Fabrikarbeiterin kennen, als sie eines Tages seinem Grossvater Meinrad Zigarren aus der Fabrik brachte. Normalerweise hätte der Hausverwalter an der Hintertür die Zigarren in Empfang genommen - aber ausgerechnet, und wohl schicksalshaft, ging an diesem Morgen John an die Tür und verliebte sich Hals über Kopf in das bildhübsche, aber arme deutsche Fabrikmädchen und heiratete sie.
John Allgeier übernahm nach dem Tod seines Grossvaters die Mühle, verkaufte sie in den 1920ern aber und erstand verschiedene Farmen; so auch das 40-Hektaren-Grundstück, auf dem Carla Sue und ihr Mann sowie die beiden Töchter ihre Häuser haben.
«Auch Grossvater war Unternehmer. Er liebte das Landleben, Kühe und Pferde, Rennpferde im Besonderen. Auf der Farm hier bin ich aufgewachsen - als Einzelkind, verwöhnt von meinen Eltern und meinem Grossvater.
Er nahm mich an Bankette in die Stadt Louisville mit, im Flugzeug nach Florida zu Pferderennen, mit dem Zug und vielen meiner Freundinnen «im Gepäck» nach Chicago …
Mit Grossvater ging ich auch an jeden katholischen Schul-Picknick in Louisville - er lieferte die Milch an die vielen katholischen Schulen. Während er dort sein Bier trank, vergnügte ich mich mit all den Süssigkeiten, die ich finden konnte. Grossvater kaufte für meinen Vater, Carl, eine Handelsmolkerei in Louisville. Wir lieferten Milch in die ganze Stadt.»
«Es gibt viele Schoenbaechler in Louisville. Und ich fühle mich mit ihnen sehr verbunden. Dank «Einsiedeln anderswo» habe ich jetzt noch weitere Nachkommen von Einsiedlerinnen und Einsiedlern getroffen. Das ist grossartig!» Carla Sue und ihr Mann Brad - Gründer und Leiter der Louisville Theater Association und vor seiner Pensionierung Organisator von Shows mit grossen Namen in der Musikszene der Vereinigten Staaten - leben ein gesellschaftlich und kulturell sehr aktives Leben.
Sie sind auch in zahlreichen Wohltätigkeitsstiftungen an vorderster Front mit dabei. «Wenn es Winter wird, verlassen wir die Kälte des Mittleren Westens und fahren per Schiff in wärmere Gefilde. Aber ich glaube, im nächsten Jahr sollte ich mit meinem Mann und den Töchtern samt Familien doch eine Reise nach Europa und nach Einsiedeln ins Auge fassen. Ich glaube, ich habe dort viele Schoenbaechler-Verwandte - und die kennenzulernen wäre einzigartig.»