Ja, Häuser bleiben, doch sie bleiben nicht dieselben. Sie werden von ihren Bewohnern umgestaltet, umgebaut, umgedeutet. Sie sammeln Geschichten, erlangen Bedeutung. Wenn man mit Nachfahren von Einsiedlern in Louisville spricht, erwähnen sie früher oder später das «Oechsli House» an der Ridgeway Avenue in St. Matthews. Es ist ein schönes Haus, noch immer, im neugriechischen Stil gehalten, zweistöckig, aus Ziegeln und Holz. Erbauen liess es 1838 der Arzt John N. Lewis, ein Cousin des berühmten Meriwether Lewis. Im amerikanischen «Civil War» soll das Haus vorübergehend als Spital gedient haben.
1893 erwarb Joseph Oechsli das alte Arzthaus und zusätzlich einige Dutzend «acres» Land. Er startete eine «potato farm» und gestaltete das Haus er zu einem Farmhaus um. Joseph Oechsli war rund zwei Jahrzehnte zuvor als 20-Jähriger von Einsiedeln nach Louisville gekommen. Mehrere seiner Brüder taten es ihm gleich und verliessen ihre Heimat in Richtung Amerika. Ein Bruder liess sich ebenfalls in Louisville nieder, ein anderer an der Westküste in Tacoma, Washington. Joseph Oechsli heiratete in Louisville eine Witwe namens Mary Bisig. Mit ihr hatte er vier Töchter.
Dick Clements, ein Urenkel von Joseph Oechsli, zeigt uns alte Fotografien und andere Dokumente. Darunter ein Empfehlungsschreiben, welches sein Urgrossvater nach Amerika mitbrachte. Er sei ein «fleissiger», «redlicher» und «braver» Mensch, heisst es darin. In Einsiedeln hatte Joseph Oechsli als Knecht gearbeitet und die Pferde einer reichen Familie besorgt.
Eine Jahrzehnte später aufgenommene Fotografie zeigt ihn mit seiner Frau im Garten vor dem Haus sitzend. Eine andere Aufnahme zeigt eine Handvoll Angestellte mit Pferden und Kühen auf der Weide seines Anwesens. Die Fotografien zeugen von einem sozialen Aufstieg Oechslis in Amerika – vom Pferdeknecht zum Pferdebesitzer. Sein Urgrossvater sei ein guter Geschäftsmann («business man») gewesen, sagt Dick. 1927 verkaufte der nun 75-jährige Joseph Oechsli sein Farmland parzellenweise. Wo vorher Kartoffeln angebaut wurden, entstand nun ein Wohnquartier – eines der ersten in der Umgebung.
Das «Oechsli House» aber blieb bis 2002 in Familienbesitz. «Das Haus war für Generationen das Zentrum unserer Familie», sagt Dick. Hierher sei man immer wieder zurückgekommen. Er selbst habe als Kind viel Zeit hier verbracht. Es sei allerdings noch nicht lange her, da habe er das Haus gemieden. Er konnte nicht mitansehen, wie es langsam zerfiel. Die Besitzer, welche die Liegenschaft 2004 ersteigert hatten, hätten sich zu wenig darum gekümmert, sagt er. Heute sei das Haus allerdings wieder in guten Händen. Ein Hersteller von Luxusmöbeln habe es aufwändig renoviert und benutze es unter anderem als Schaugeschäft («Show Room»). Vieles sei in den ursprünglichen Zustand von 1838 zurück versetzt worden, anderes sei noch so, wie er es aus seiner Kindheit kenne, so Dick. Manchmal gehe er nun wieder hin. Vielleicht organisiere man demnächst ein Familientreffen im Haus.