Das Kaelin's - das legendäre Speiserestaurant an der Newburg Road und Speed Avenue in den Highlands von Louisville - war für Jahrzehnte ein kulinarischer Tipp in der Stadt und weit herum bekannt als «Geburtsstätte» des Cheeseburgers. Die Speisekarte und kleine Schleckwaren nahm ich 2006 als Erinnerungsstücke mit heim.
Das Kaelin’s ist leider Geschichte! Nach 75 Jahren wurden dessen Tore 2009 definitiv geschlossen, das markante blau-weisse Schild abmontiert und verkauft. Eine «Institution» ist endgültig verschwunden - die dritte Generation hatte kein Interesse mehr. So treffen wir die 84-jährige Irma Kaelin Raque im August 2015 daheim in ihrem schmucken Haus an der Lamont Road zu Donuts und Milch. Sie ist eben auf dem Sprung nach Denver, Colorado. Sie fliegt nach dem Interview zu ihrem Sohn und den Grosskindern. Wir sitzen in der guten Stube auf dem geblümten Sofa. Es ist angenehm, ihr zuzuhören. Die gepflegte alte Dame ist es gewohnt, Konversation zu machen und Gastgeberin zu sein. «Wir Kaelins sind eine stolze Gruppe. Ich bin auch sehr stolz, Schweizer und Einsiedler Wurzeln zu haben.»
Nicht zuletzt dank Tante Antoinette, der Schwester ihres Vaters, sind Familiendokumente greifbar, sogar noch solche von Grossvater Louis’ Einwanderung.
«Mein Grossvater, Alois Kaelin, stammte aus Euthal. Er besuchte in den 1870er Jahren die Klosterschule in Einsiedeln, machte dort die Matura und wurde später Leutnant in der Schweizer Armee. Nach seinem Medizinstudium in Berlin wanderte er 1885 allein nach Louisville aus. Wir wissen, dass er am 4. April 1885 in Le Havre an Bord des Dampfers ‹Canada› ging.
100 Kilogramm Gepäck durfte er mitnehmen, die Überfahrt nach New York hat ihn 160 Franken gekostet. Sein Ziel war Louisville.» Warum Amerika? Irma Kaelin Raque weiss es nicht. «Vielleicht boten sich ihm hier bessere Möglichkeiten, und es hatte ja auch schon viele Kaelins und Leute aus Einsiedeln in der Gegend hier. Briefe aus der alten Heimat haben wir leider keine.» Der junge Arzt wird bald sehr geschätzt in der Stadt. Er engagiert sich auch als Mitglied in lokalen Schweizer Vereinen, wie dem Gruetli-Verein, dem Verein «Helvetia», der Schweizer-Hilfsgesellschaft sowie dem Schweizer Schützenverein. Ende des 19. Jahrhunderts, ab 1898, amtet er überdies viele Jahre als Schweizer Konsul in Louisville. Irma: «In der Stadt war er bei jedem Wetter mit Ross und Wagen unterwegs - etwa zu Hausgeburten.» Einen Namen macht er sich auch, als er 1907 bei einem seiner Patienten Tetanus erfolgreich behandelt.
Mit seiner amerikanischen Frau, Elizabeth Kaelin Streigle, hat Louis Kaelin vier Kinder: Antoinette (1894), Louis C. (1896), Florence Rose (1897) und Carl Bernard (1901). Elizabeth stirbt schon 1911, und ein Jahr später wird der Jüngste, Carl B., ins protestantische Waisenhaus an der Bardstown Road gebracht. «Das war ein schwerer Entscheid, aber für meinen verwitweten Grossvater waren vier Kinder neben seinem umfangreichen Engagement zu viel.»
Carl B., Irmas Vater, wird Automobilmechaniker und Händler, er arbeitet bei Coca Cola. Wegen illegalen Verkäufen bekommt er Probleme mit dem Gesetz, verliert seine Stelle und muss sogar für drei Monate ins städtische Gefängnis. Nach seiner Entlassung kauft er mit seiner tüchtigen amerikanischen Frau Margaret eine Hühnerfarm auf dem Land. Dort draussen kommt Irma 1931 als zweites Kind der Familie auf die Welt.
Per Zufall entdeckt Carl in einem Zeitungsinserat, dass eine Bar an der Newburg Road zum Verkauf steht. «Für 600 Dollar haben sie den Betrieb gekauft. Vom Start weg, im Januar 1934, lief das Kaelin’s. Mutter war eine ausgezeichnete Köchin und Vater ein guter Gastgeber.»
Nachbarn sind die ersten Gäste, ebenso die Schüler der katholischen St.-Agnes-Schule nebenan, denen Mrs. Kaelin täglich den Lunch über die Gasse zubereitet. Viel wird in die Werbung investiert, und das Kaelin’s wird immer bekannter und grösser. «Vater wollte die besten Hamburger der Stadt servieren. Er probierte immer wieder neue Rezepte aus - und eines Tages legte er ein Stück Käse oben auf den Hamburger. Das Echo der Gäste war fulminant, der «Cheeseburger» war erfunden und begann vom Kaelin's aus seinen Siegeszug in alle Welt.»
Und dann war da noch die Freundschaft der Eltern zu Colonel Sanders! Harland David Sanders (1890-1980), besser bekannt als Colonel Sanders, war der Gründer des Systemgastronomie-Unternehmens Kentucky Fried Chicken (KFC).
«An einem Weihnachtsmorgen klopfte Sanders an die Hintertür unseres Restaurants und bot Vater das Rezept der Kentucky Fried Chicken an. Wollen Sie den pressure cooker (Dampfkochtopf) von damals sehen?»
Irma führt uns in ihren Keller hinunter… Kaelin’s wohin das Auge reicht! An den Wänden, auf den Tischen - ein Raum voller Erinnerungsstücke. Neben einer Sammlung von Cheeseburger-Objekten über Werbeanzeigen, Auszeichnungen, Zeitungsartikel bis hin zum legendären KFC pressure cooker und Teilen des Original-Mobiliars aus dem Kaelin’s.
Irma kommt ins Schwärmen: «Ich liebte das Kaelin’s. Es war mein Leben. Von Kindsbeinen an stand ich im Restaurant. Und ich führte es später jahrzehntelang weiter, nachdem meine Eltern nicht mehr mochten.» Irma hat nicht nur das Restaurant mit Erfolg in der zweiten Generation geleitet; zusammen mit ihrem Mann Herb Raque hat sie acht Kinder aufgezogen. «Ich weiss nicht, wie ich das alles geschafft habe. Aber irgendwie ging’s. Und überdies hat es Spass gemacht.»
Nun sollte Irma Kaelin Raque für ihre Nachkommen mit zehn Grosskindern nur noch das markante Kaelin’s-Schild wiederfinden und zurückkaufen können…
Irma Kaelin Raque (*1931)
Grosseltern
- Alois Friedrich (Louis) Kaelin (1857 – 1919) «Löthers», Ober-Euthal und Louisville; Sohn von Konrad-Alois Kälin (1824 – 1857) Ober-Euthal, und Katharina Kälin-Kälin (1832 – 1917) Ober-Euthal
- Mary Elizabeth Streigle Kaelin (1860 – 1911) New York und Louisville; 4 Kinder: Antoinette (1894), Louis C. (1896), Florence Rose (1897) und Carl Bernard (1901)
Eltern
- Carl Bernard Kaelin (1901 – 1978) Louisville
- Margaret Kaelin Brown, Concordia und Louisville
2 Kinder: Margie Ann Kaelin und Irma Kaelin Raque