Marcy Walker Murdock

Marcy ist die Enkelin des in Louisville früher bekannten Milchmanns Emil Ochsner. Und sie ist das Gedächtnis ihrer Familie. Vor allem aber liebt sie das Jodeln.

Emil Ochsner (1877-1953), aufgewachsen in Bennau, kam als junger Mann nach Louisville. Was man über ihn wissen kann, das weiss Marcy Walker Murdock, seine Enkelin. Zum Beispiel dass er 1.70 gross war, braune Augen und keine besonderen ­Merkmale hatte. So steht es in Emil Ochsners «Naturalization Certificate» von 1913. Diese Einbürgerungsurkunde ist zusammen mit Hunderten von anderen Dokumenten - Fotografien, Stammbäumen, Zeitungsschnipsel, Heimatscheine - fein säuberlich in einem dicken Ordner abgelegt. Das Material hilft Marcy, sich zu erinnern. Sie ist damit das Gedächtnis der Familie.

Arbeit auf der Ochsner-Farm in Middletown, 1949.

Kein Aufwand ist Marcy zu gross, um dem Stammbaum ihrer Familie einen weiteren Zweig hinzuzufügen. Der ungeklärte ­Verwandtschaftsgrad zu einer anderen Familie Ochsner in Louisville beispielsweise liess ihr keine Ruhe. Kurz entschlossen sammelte Marcy Speichelproben ein und beauftragte eine auf Familien­forschung spezialisierte Firma in Houston, Texas, ­DNA-Tests durchzuführen. Das Resultat: ein gemeinsamer Vorfahre im 18.Jahrhundert und einige neue Cousins sechsten Grades.

Marcy lebt zusammen mit ihrem Mann - er ist schottischer ­Abstammung und ebenfalls Familienforscher - in einem gemütlich eingerichteten Haus in St. Matthews. Ihr ist auch ihre amerikanische Herkunft wichtig: Sie kann familiäre Spuren bis in die Zeit der Amerikanischen Unabhängigkeitskriege zurückverfolgen und ist stolzes Mitglied der Vereinigung «Daughters of the American Revolution». Marcys Interesse an den eigenen Wurzeln beschränkt sich jedoch nicht auf die intellektuelle Beschäftigung, sondern zeigt sich auch in der Praxis: ­Besonders lieb ist ihr der Schweizer Jodel. Ihre Mutter, ihr Grossvater, ihre Tanten, alle hätten sie früher gejodelt, sagt sie. Und sie habe es ihnen einfach nachgemacht. Schon als dreijähriges Kind habe sie mitten auf der Strasse oder im Lebensmittelladen gejodelt. Später habe sie sich alle möglichen Aufnahmen, Kassetten und CDs mit Jodelliedern ­besorgt. Das Jodeln sei für sie «ein Geschenk Gottes».

Emil Ochsner und sein Milchwagen, um 1930.

Die Musik helfe ihr, wenn sie traurig sei. Marcy spricht kein Deutsch. Schon ihre Mutter habe kaum mehr deutsch gesprochen, lediglich einige Worte Schweizerdeutsch; sie nannte es «low ­German». Die Texte der Jodellieder seien ihr fremd, sagt Marcy. Sie versuche aber deren Klang einzufangen und wiederzugeben. In der Schweiz habe man ihr gesagt, ihre Art zu jodeln sei falsch, doch sie liebe es trotzdem.

Marcy erzählt von ihrem Grossvater Emil Ochsner. Er starb 1953 als sie erst drei Jahre alt war. Alles, was sie über ihn weiss, hat sie sich mit viel Aufwand von älteren Verwandten erfragt und aus ­verschiedenen Aufzeichnungen zusammengetragen. Emil Ochsner kam 1899 im Alter von 22 nach Louisville und war der erste «Amerikaner» der Familie. Vier Schwestern und drei Brüder folgten ihm in den Jahren danach. Einige von ihnen zog es bald weiter in den Westen, bis nach Kalifornien.

Emil blieb in Louisville und arbeitete bei einer Familie Gyr auf deren Milchviehbetrieb. Langsam arbeitete er sich hoch und konnte 1931 zusammen mit seinen Brüdern Benno und Meinrad eine eigene Farm im einige Meilen östlich gelegenen Ort Middletown erwerben. Die Farm sei noch heute im Familienbesitz, sagt Marcy. Das Land sei aber verpachtet und die Farmgebäude im Zerfall. In ­Amerika lernte Emil seine spätere Ehefrau Anna Maria Eberle ­kennen, ­welche 1903 von Einsiedeln nach Louisville ausgewandert war. Das Paar heiratete 1907 in der St.Boniface Church.

Die schweizerischen Traditionen seien in Louisville leider ein Auslaufmodell, sagt Marcy. In ihrer Familie sei der Kontakt mit der alten Heimat aber nie ganz abgebrochen. Dutzende von etwas verbleichten Postkarten in Marcys Ordner, zugeschickt von ­Schweizer Verwandten, zeugen davon. Sie selbst halte ebenfalls Kontakt, welcher aber in der Regel auf Weihnachtspost beschränkt bleibe.

Postkarte von den Geschwistern in Einsiedeln an die «Ochsner Bros» in Louisville.

Einmal aber sei sie da gewesen, in Einsiedeln, und habe in Bennau das Haus des Grossvaters gesehen und den Ort, wo er zur Schule ging. Marcy wird emotional als sie davon erzählt. Ein Traum sei für sie mit diesem Besuch in Erfüllung gegangen. Für nichts in der Welt möchte sie diese Erfahrung tauschen, sagt sie. Gerne wäre sie länger geblieben als ein paar Stunden. Es galt aber, den Terminplan der Reisegesellschaft einzuhalten, mit welcher sie unterwegs war. Stolz trägt Marcy bei unserem Gespräch ein «Dirndl», welches sie auf derselben Reise in Österreich gekauft hat. Viele Gelegenheiten, es zu tragen, habe sie ­ansonsten ja nicht.

Marcy Walker Murdock (*1950)

Grosseltern

  • Emil Ochsner (1877 – 1953) Bennau, Louisville
  • Anna Maria Eberle (*1884 – ?) Einsiedeln, Louisville

Grossonkel

  • Benno Ochsner (1882 – 1984)
  • Meinrad B. Ochsner (1888 – 1947)
    beide Bennau und Louisville
© 2024 Einsiedeln anderswo / Einsiedeln elsewhere
Website by SteckDesign